Geschichten des Grauens: Holocaust-Überlebende berichten Schülern des BGA von NS-Zeit (11.11.2017)

Holocaust

Erwin Schönhauser war als Kind im KZ Theresienstadt. Bevor er von seinen Erlebnissen berichtete, sang der Bariton ein Lied.

Altena -  Die Geschichten, die der Holocaust schrieb, sind grauenvoll und bedrückend. Den Schülern der Oberstufe des BGA berichteten jetzt zwölf Überlebende des Holocausts von den furchtbaren Gräueltaten, die ihnen angetan wurden.

Es ist nicht mehr viel Zeit. Menschen, die die Schrecken des Holocausts miterleben mussten, werden immer weniger. 

 

Bald werden ihre persönlichen Erinnerungen nur noch Geschichten sein, die in Büchern, Zeitschriften und Dokumentationen zu finden sind. Nicht so für die Oberstufe des Burggymnasiums (BGA). Für sie gaben am Mittwoch zwölf Überlebende des Holocausts den Geschichten ein Gesicht. Sie waren noch kleine Kinder und lebten in der Ukraine, Weißrussland oder der Slowakei, als der Zweite Weltkrieg begann. Im Alter von vier, fünf oder sechs Jahren erlebten sie Grausamkeiten, die selbst den lebenserfahrensten Menschen zugrunde richten könnten. 

„Wir mussten von jetzt auf gleich erwachsen werden. Wir waren kleine alte Menschen“, erzählt Ljubov Krugliak. Ihr Vorname bedeutet aus dem Russischen übersetzt „Liebe“. Die zierliche Frau wird hin und wieder von der Übersetzerin Natalja Prat gestützt. Es fällt ihr schwer, von ihren Erlebnissen zu berichten. Es dennoch zu tun, ist ihr sehr wichtig: „Wir sind die letzte Generation der Zeitzeugen, die den Holocaust erlebt haben.“ In Deutschland ist sie zum ersten Mal. 

 

Schüsse und Motorengeräusche in der Nacht wecken die Familie

„Ich bin sehr dankbar, in diesem wunderschönen Land so freundlich aufgenommen worden zu sein. Ich werde das niemals vergessen und davon erzählen, solange ich lebe.“  Als der Krieg beginnt, ist Ljubov Krugliak gerade sechs Jahre alt, ein kleines jüdisches Mädchen aus Bessarabien, das nicht verstehen kann, wie sie den Hass der Nazis auf sich gezogen hat. Eines Nachts wird ihre Familie von Schüssen und Motorenlärm geweckt. „Wir hatten alle große Angst.“ 

Ljubov Krugliak (zweite von Links) neben der Übersetzerin Natalja Prat

Am darauffolgenden Morgen wird die Familie aus dem Haus und auf die Straße gedrängt, wo bereits andere Juden der Stadt versammelt sind. Rumänische Soldaten verkünden, dass der Zweite Weltkrieg begonnen hat. Das Gedränge ist groß, ein Soldat schießt in die Luft. Die Männer werden an Ort und Stelle an die Front eingezogen. „Ich konnte mich nur ganz kurz von meinem Vater verabschieden. Er hat gesagt, wir sollen stark sein, wir werden den Krieg gewinnen und uns bald wiedersehen.“ Ljubov Krugliak sieht ihren Vater an diesem Tag zum letzten Mal und wird nie erfahren, was mit ihm geschehen ist. 

Mit ihrer Mutter, Schwester und ihrem Bruder wird sie zu Fuß auf den „Marsch des Todes“ geschickt. Ziel ist das Ghetto Bershad in der Ukraine. „Wir waren zweieinhalb Wochen unterwegs, wurden in die Ukraine gejagt.“ Viele Kinder und alte Menschen überleben den Marsch nicht. Ihre Leichen werden einfach dort liegen gelassen, wo sie starben. Im Ghetto Bershad angekommen sieht Ljubov Krugliak zum ersten Mal in ihrem Leben Baracken. Aus diesen Baracken schauen Menschen mit angsterfüllten Blicken heraus. „Da haben wir verstanden, wo wir uns befinden.“ 

Besatzer führen an Bewohnern des Ghettos medizinische Experimente durch

Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Krankheiten wie Typhus verbreiten sich und töten tausende Menschen, alle Bewohner sind stark von Läusen befallen. „Zusätzlich hatten wir die ständige Sorge, etwas zu essen zu finden.“ Den Hunger macht sich die deutsche und rumänische Besatzung zunutze. In die Suppe, die verteilt wird, rühren sie ein braunes Pulver. In der Folge erkranken zahlreiche Menschen an Diphtherie und anderen Infektionskrankheiten. 

Ergriffen hörten die Schüler den Holocaust-Überlebenden zu und spendeten zum Dank für deren Offenheit Applaus.

„Sie haben behauptet, in dem Pulver wären Vitamine. Aber das waren medizinische Experimente.“ Den Kindern machen die Besatzer Versprechungen. Wenn sie sich gut benehmen, dürfen sie Blut spenden und bekommen dafür Schokolade und Plätzchen. Dies wird zum einzigen Ziel für die hungernden Kinder. Jeden Tag fragt Ljubov Krugliak nach, ob sie endlich Blut spenden könne. „Als der Tag kam, wurde mir eine Flüssigkeit in die Vene verabreicht, Blut wurde nicht abgenommen.“ Viermal lässt sie das Prozedere über sich ergehen. 

Bis heute weiß sie nicht, was in dieser Flüssigkeit war. „Ich bekam starke Schmerzen, hohes Fieber und wurde sehr schwach. Die Flüssigkeit wurde bei mir erprobt und hat bleibende Schäden hinterlassen.“ Aufgrund ihrer Schwäche darf sie kein Blut spenden – und bekommt keine Süßigkeiten. Ihr Bruder erkrankt an einer offenen Form der Tuberkulose. Mit ihrer Schwester wacht Ljubov Krugliak an seinem Bett. „Er spuckte Blut. Aus einem schönen Jungen mit langen Wimpern ist ein alter Greis geworden.“ 

Das Schicksal des Bruders bestimmt Ljubovs Berufswunsch

Als sie den Schülern, die ihr ergriffen und aufmerksam zuhören, von ihrem Bruder erzählt, erhebt sich ihre Stimme. „Eines Tages schloss er seine Augen und meine Schwester und ich glaubten, er würde schlafen. Aber er ist gestorben.“ Den leblosen Körper werfen die Soldaten „wie Müll“ auf einen Lastwagen. Die Mutter will sich noch verabschieden, wird aber so stark zur Seite gestoßen, dass sie ohnmächtig wird. 

Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrt Ljubov Krugliak mit ihrer Schwester und ihrer Mutter in ihre Heimat zurück. Dort findet sie ihr Elternhaus zerstört vor. Später studiert sie Medizin, damit kein Kind mehr so an Tuberkulose sterben müsse wie ihr Bruder. Sie heiratet, kann aber keine Kinder bekommen. Anfang 1980 zieht sie nach Israel, wo sie bis heute lebt. „Ihr seid so jung und so schön. Schätzt das, was ihr habt und die Möglichkeiten und Gelegenheiten, die euch gegeben werden. Schätzt euer Leben. Es ist ein sehr wertvolles Gut“, richtet sich Ljubov Krugliak abschließend an ihre Zuhörer. 

Erwin Schönhauser kommt mit vier Jahren ins KZ Theresienstadt

Zwölf Überlebende des Holocausts kamen ins BGA

In dem Raum ist es still, hier und da wischt sich ein Schüler eine Träne von der Wange. „Ich wünsche euch Gesundheit und noch mal Gesundheit und noch mal Gesundheit. Ich wünsche euch eine gute Zukunft. Ihr könnt dieses Jahrhundert bauen.“ 

Erwin Schönhauser steht auf und nimmt ein Mikrofon in die Hand, auch er will seine Erlebnisse mit den Jugendlichen teilen. Mit viereinhalb Jahren kommt der Slowake am Heiligen Abend im Jahr 1944 ins Konzentrationslager Theresienstadt im heutigen Tschechien. Sechs Tage war er zuvor ohne Wasser und Essen mit seiner Familie in einem eisig kalten Viehwaggon unterwegs. „Beim Aussteigen wurden wir nicht mit Samthandschuhen angefasst.“ 

Angst vor Gaskammern und grausame Foltermethoden

Die erste Station ist ein großer Saal, in dem die Gefangenenkleidung verteilt wird. Danach geht es zu den Duschen. „Ich hatte Angst bekommen, weil ich nicht wusste ob es Duschen sind oder eine Gaskammer ist. Schon als viereinhalbjähriges Kind hatte ich davon mitbekommen.“ Die Unterkunft ist erbärmlich, zu essen gibt es nur Kartoffelschalen. Ungeziefer sind ein ständiger Begleiter. Jeden Tag müssen die Gefangenen im tiefen Winter auf dem Appellplatz stundenlang in Reih und Glied stehen, die Soldaten entleeren Wassereimer über willkürlich ausgewählten Gefangenen. 

„Das Ziel war, schon da die meisten umzubringen.“ Im Lager gibt es auch die sogenannte Kleine Festung. „Was da passiert ist, ist schwer zu beschreiben“, erzählt Erwin Schönhauser. So ziehen zum Beispiel mit Alkohol gestärkte Soldaten einigen Gefangenen bei lebendigem Leib die Haut ab. Insgesamt sterben in Theresienstadt knapp 33 500 Menschen. 

Juden werden in der Slowakei nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfolgt

Die Schüler verteilten Geschenke.

Erwin Schönhauser ist eines der wenigen Kinder, die das Konzentrationslager überlebt haben. Doch auch nach der Befreiung im Mai 1945 durch die Rote Armee kommt er nicht zur Ruhe. In der Slowakei beginnen nach Ende des Zweiten Weltkrieges Pogrome, erneut werden Juden verfolgt, diesmal ohne deutsche Beteiligung. 

Mithilfe der Organisation „Zeugen der Zeitzeugen“ sind die Überlebenden des Holocausts in die Region gekommen, besuchen auch Halver und Lüdenscheid. Die Schüler des BGA verteilten am Ende der Veranstaltung als Dank Geschenke an die Gäste, die ihrerseits jedem Schüler einen kleinen Stein, der für das Leben steht, schenkten.
 

Bild und Text: Lisa Klaus (AK)
Quelle: https://www.come-on.de/lennetal/altena/geschichten-grauens-holocaust-ueberlebende-berichten-schuelern-ns-zeit-9268437.html

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